Tim Kleinholz, 5. November 2018
Stress durch Arbeitsunterbrechungen
Wir alle kennen diese Situation bei der Arbeit: Während wir gerade konzentriert an einem Projekt arbeiten, klingelt das Telefon, es erscheinen ausserdem drei Slack-Nachrichten, eine Kollegin steht auch schon an der Tür weil sie eine Frage hat, und es muss noch eine dringende E-Mail beantwortet werden. Der Tag rennt an uns vorbei und am Ende haben wir nur die Hälfte unseres eigentlichen Tagesziels erreicht. Wir fühlen uns am Ende gestresst, sind ausgelaugt und fragen uns: Wo ist unsere Zeit geblieben? Und der Berg an Arbeit wird gefühlt immer grösser.
Steigende Anforderungen bei der Arbeit und der ständige Zeitdruck sind mit ein Grund für die zunehmende Überforderung bei vielen Mitarbeitenden. Neue Kommunikationstools sorgen auf der einen Seite für schnelle und direkte Kommunikation - aber durch die Tatsache, ständig erreichbar zu sein, entsteht jedoch jedes Mal eine Unterbrechung des laufendes Arbeitsprozesses. Die Folgen: erhöhter Stress, sinkende Motivation und zunehmende Absenzen.
Dies bestätigt eine «Stressstudie» des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO (2010): Unterbrechungen führen insbesondere bei komplexen Aufgaben zu Ablenkung vom konzentrierten Arbeiten und zu zusätzlichem Zeitaufwand. Bereits begonnene Aufgaben müssen beispielsweise nach einer Unterbrechung häufig wieder von vorne begonnen werden oder es müssen Teilschritte wiederholt werden. Der Zusatzaufwand, welcher durch Unterbrechungen verursacht wird, ist umso grösser, je komplexer die Arbeitsaufgaben sind.
Die Befragung der SECO Stressstudie an 1'005 Erwerbstätigen hat ergeben, dass Arbeitsunterbrechungen mit 48% als häufigster Belastungsfaktor gelten. Auf lange Sicht kann dies verheerende Folgen haben: Sind erwerbstätige Personen Belastungsfaktoren dauerhaft ausgesetzt, so sind sie einer erhöhten Wahrscheinlichkeit nach, beispielsweise weniger zufrieden, fühlen sich erschöpfter (Burnout) und entwickeln Gesundheitsprobleme (z.B. Schlafstörungen, Herz-Kreislaufkrankheiten und Rückenschmerzen).
Auch mein Team und ich kennen das Problem der ständigen Arbeitsunterbrechungen nur allzu gut. Dabei brauchen gerade wir in der Softwareentwicklung sehr fokussierte Konzentrationsphasen, um effizient Programmieren und innerhalb der agilen Phasen genügend Fortschritt zu erzielen.
Aus diesem Grund nehmen wir an einer Studie der Universität Zürich teil, die vom Department of Informatics (IfI) durchgeführt wird und den Einfluss der Arbeitsunterbrechungen auf die Arbeitsqualität, Motivation und Produktivität der Mitarbeitenden untersucht. Ein schon vorzeigbares Ergebnis der Studie ist das «FlowLight», ein automatisches Ampelsystem für Wissensarbeiter, um ihre Unterbrechungen bei der Arbeit zu reduzieren und ihre Arbeit produktiver und stressfreier gestalten zu können. Bereits in früheren Studien haben sie festgestellt, dass sich manuelle Ansätze, wie das Schliessen der Bürotür oder das Aufsetzen von Kopfhörern als Visualisierung einer konzentrierten Arbeitsphase als unzureichend herausstellten. «FlowLight» leitet, basierend auf Computerinteraktionsdaten, automatische Unterbrechungsmassnahmen ein, wie beispielsweise eine Statusänderung zu «nicht stören» in allen Kommunikationstools oder eine Erinnerung an Pausen. Auch kann das «FlowLight» als richtiges Ampelsystem am Arbeitsplatz installiert werden, um den anwesenden Mitarbeitern den Status direkt anzuzeigen. Auch eine Zusammenfassung am Ende eines Arbeitstages kann eingesehen werden, was für die Retrospektiven hilfreich ist.
So könnte ein Flow-Light in einem Unternehmen aussehen:
Das ist eine gute und wichtige Massnahme, die meinem Team helfen kann, ihren Arbeitsalltag an ihre konzentrierten Phasen anzupassen um ihnen eine angenehme, stressfreie Arbeitsatmosphäre zu bieten. Aus diesem Grund haben wir uns auf das spannende Experiment der Universität Zürich eingelassen: Mithilfe biometrischer Sensoren wie einem Eye-Tracker oder Herzfrequenz-Messungen, aber auch einer Tätigkeitsanalyse der verwendeten Programme unserer Entwicklungsumgebungen wird der Stress in unsern Körpern gemessen. Zusammen mit den Informationen über die Verwendung der verschiedenen Arbeits- und Kommunikationstools können Rückschlüsse über Unterbrüche und Stress ermittelt werden.
Ein Forschungsmitarbeiter der Universität Zürich erklärte mir die Funktionsweise des Eye-Trackers für die Datenanalyse:
Die ersten Zwischenergebnisse aus der Studie bei ABB und Microsoft sind alamierend: Es wurden durchschnittlich in diversen Teams weltweit über 147 Arbeitsunterbrechungen pro Tag festgestellt. Hier wird es Zeit, unsere Mitarbeiter besser zu schützen und Hilfsmittel zu gestalten, damit wir dem entgegen wirken können.
Ich freue mich, Sie in weiteren Blogeinträgen regelmässig über die neusten Ergebnisse aus meinem Team und unseren Erfahrungen mit der Datensammlung und «FlowLight» auf dem Laufenden zu halten. Bleiben Sie gespannt! Wir sind es ebenfalls.